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Gedanken zur politischen Verantwortung
16. Dezember 2022,
Karl Spühler, Alt-Bundesrichter, Winterthur
Neben der rechtlichen gibt es die politische Verantwortung. Die politische Verantwortung wird in der Staatsrechtslehre von der rechtlichen Verantwortung abgegrenzt. Heute sind sich die Politiker in den Exekutiven ihrer politischen Verantwortung oftmals zu wenig bewusst. Es muss daran erinnert werden, dass sie letztlich Ausfluss des persönlichen Gewissens ist.
Besonders Mitglieder der Exekutiven haben heutzutage in Bund, Kantonen und Gemeinden äusserst grosse Kompetenzen. Auf allen staatlichen Ebenen sind die Aufgaben stark gewachsen. Damit einhergehend wuchs die Machtfülle jedes einzelnen Mitglieds des Bundesrats, der kantonalen Regierungsräte und der Mitglieder von Stadt und Gemeindeexekutiven stark an. Immer weniger kann als Kollegialbehörde erledigt werden.
Die politische Verantwortung stärken
Diese Entwicklung ist bedauerlich. Sie ist Ausfluss einer gefährlichen Staatsgläubigkeit. In einer modernen Demokratie bedarf es deshalb einer Stärkung der politischen Verantwortung. Wollen wir unseren demokratischen Rechtsstaat bewahren, bedarf es der Stärkung der politischen Verantwortung. Dies als Korrelat zur Macht. Die verfassungsmässigen und gesetzlichen Grundlagen dazu wären vorhanden.
In Art. 174 ff. der Schweizerischen Bundesverfassung heisst es, dass dafür zu sorgen ist, dass die Verwaltung rechtmässig handelt. Dazu dient die Verpflichtung zu deren Beaufsichtigung. Weiter fordert die Verfassung, dass die Beschlüsse des Volkes und des Parlaments zu vollziehen sind. Ähnlich lautet auch Art.70 der Zürcherischen Kantonsverfassung. Gleichgerichtete Bestimmungen finden sich im Gemeindegesetz des Kantons Zürich und auch in den Gemeindeordnungen, besonders von Zürich und Winterthur. Zur Kontrolle dient das Öffentlichkeitsprinzip, welches in den einschlägigen Gesetzen ausgeführt wird.
Diese verpflichten die Amtsträger zu einer aktiven Informationspolitik. Die Bewohner unseres Landes sind ferner durch die Datenschutzgesetzgebung geschützt; Die Personendaten, welche die öffentlichen Organe bearbeiten, dürfen keineswegs an unbefugte Dritte gelangen.
Dies wären alles Pflichten der Behörden. Sie tragen die politische Verantwortung dafür. Diese Einsicht ist vor allem in unserer rechtsstaatlichen Demokratie unabdingbar. Nicht ohne Grund habe ich das Wort «wären» gewählt. Dazu zwingen leider die Vorgänge der letzten Jahre und vor allem in diesen Tagen und Wochen.
Auf Bundesebene wird der positive Entscheid zur Verfassungsinitiative der SVP über die Masseneinwanderung seit Jahren nicht vollzogen. Derweil verpflichtet die Bundesverfassung zum Vollzug der Beschlüsse von Parlament und Volk. Man begnügt sich einfach mit der Feststellung, bis Ende des Jahres stieg eben die diesjährige Zahl der Asylanten und Flüchtlinge auf 200 000. So die zuständige freisinnige Justizministerin.
In der Stadt Winterthur zeigte ein unabhängiger Bericht skandalöse Zustände bei der Stadtpolizei auf. Die Polizeivorsteherin Stadträtin Cometta (GLP), welche ihren gesetzlichen Aufsichtspflichten überhaupt nicht nachgekommen ist, schiebt ihre politische Verantwortung einfach auf ihre Untergebenen ab und verspricht eine neue «Kultur».
Derweil ist offensichtlich, dass sie ihren primären Pflichten als Vorsteherin des Polizeidepartements nicht nachgekommen ist und diese Pflichten zugunsten der links-grünen Politik arg vernachlässigte. Sie unterstützt offensichtlich deren verheerende Schuldenwirtschaft und Verbotspolitik. Mit einer schieren Entschuldigung versucht sie sich ihrer politischen Verantwortung zu entziehen.
Aufgeflogen ist vorletzte Woche ein grosser Skandal, in welchen vor allem die Zürcher SP-Regierungsrätin und Justizdirektorin Jacqueline Fehr verstrickt ist. Ein parlamentarischer Vorstoss der beiden SVP-Kantonsräte Valentin Landmann und Nina Fehr-Düsel brachte es an den Tag. EDV-Festplatten wurden entgegen allen Regeln nicht konform entsorgt. Diese Festplatten enthielten äusserst sensible Daten von Justizbehörden. Sie gelangten u. a. in die Hände von Kriminellen. Obschon Regierungsrätin Jacqueline Fehr davon seit mindestens zwei Jahren Kenntnis hatte, wurde die allgemeine Öffentlichkeit nie orientiert.
Des Gleichen gilt für die seit über einem Jahr vorliegenden Ergebnisse einer Administrativuntersuchung in dieser Sache. Offenbar sind viele Personen betroffen, u. a. Untersuchungsbeschuldigte, Staatsanwälte, andere Beamte und Privatpersonen. Noch heute versucht die Justizdirektorin abzuwimmeln. Die Zürcher Justiz hat, wie schon heute feststeht, enormen Schaden erlitten.
Folgen der politischen Verantwortung
Die politische Verantwortung muss in einem Rechtsstaat bedingungslos zum Zuge kommen. Es geht letztlich um eine Angelegenheit des Gewissens. In Frage steht das Vertrauen des Volkes in unsere demokratischen Institutionen. Es geht mithin um das Vertrauen der Bürgerin und des Bürgers in den Staat. Dem Gewissen kann niemand entrinnen. Die Wahrnehmung der politischen Verantwortung ist zentrale Pflicht. Besonders alle Exekutivpolitiker müssen sich bewusst sein, dass die politische Verantwortung auch den Rücktritt nicht ausschliesst.