Gemeinderat: Interpellation „Tempo 30 und Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft der Blaulichtorganisationen“
Text und Begründung
Die Exekutive der Stadt Winterthur kündigte im Juli 2021 an, in den nächsten Jahren «weitgehend» (Medienmitteilung des Departements Bau der Stadt Winterthur vom 6. Juli 2021) Tempo 30 einzuführen. Der Winterthurer Stadtrat hat die übergeordnete Planungsgrundlage «Zielbild Temporegime» verabschiedet, die «Schritt für Schritt eine neue Verkehrskultur in der Stadt einführt». Diese soll das Zu-Fuss-Gehen, das Velofahren und den öffentlichen Verkehr fördern.
Richtigerweise hat der Zürcher Regierungsrat in seiner Medienmitteilung vom 16. Juli 2021 festgestellt, dass sich «in der Frage zu Tempo 30 Zielkonflikte der Lärmschutzpolitik einerseits und der Verkehrs- und Klimapolitik andererseits zeigen. Vorschnelle Entscheidungen können negative Folgen für das öffentliche Verkehrsangebot mit sich bringen. Insbesondere ist es nicht zielführend, den Konflikt allein mit finanziellen Mitteln, etwa für zusätzlich benötigte Fahrzeuge, zu lösen. Es braucht stattdessen eine gesamthafte Betrachtung und qualitativ gute Massnahmen im Einzelfall, damit die Attraktivität des öV aufrechterhalten bleibt.»
Noch nicht geklärt hingegen sind die Auswirkungen der «weitgehenden» Tempo-30-Pläne auf die Blaulichtorganisationen, die oft in engen, innerstädtischen Verhältnissen zu dringenden Einsätzen gerufen werden. Die Ausbreitung verkehrsberuhigter Strassen (z. B. durch bauliche Massnahmen) trifft insbesondere diese Blaulichtorganisationen. Dort speziell zu erwähnen ist der Rettungsdienst, welcher bei lebensbedrohlichen Situationen – in denen jede Minute zählt – an einen Einsatzort ausrücken müssen. Aber auch die Feuerwehr ist nicht zu vergessen, welche mit schwerem Gerät und grossen Fahrzeugen (TLF, Drehleiter etc.) im städtischen Verkehr unterwegs ist.
Die gesetzlichen Vorgaben zur Verwendung von Sondersignal und der Abweichung von den Verkehrsvorschriften sind zudem recht eng gesetzt. So gilt als Faustregel, dass bei besten Verhältnissen (gute Sicht, gutes Wetter, gute Strassenverhältnisse, keine Kinder in der Nähe etc) bei dringlichen Einsätzen maximal das 1.5-fache der signalisierten Geschwindigkeit gefahren werden darf. Gerade in städtischen Gebieten führt dies doch unweigerlich zu längeren Anfahrtszeiten, was gerade bei lebensbedrohlichen medizinischen Problemen für die Patientinnen und Patienten negative Auswirkungen hat. Bei einem Herzkreislaufstillstand zählt ja bekannterweise jede Minute.
Wir fragen den Stadtrat deshalb an:
- Sind die Hilfsfristen des Rettungsdienstes mit dem geplanten Tempo 30-Regime und den baulichen Verkehrsmassnahmen (Bushaltestellen in der Strasse, grössere Inseln, Hindernisse) in der Stadt überhaupt noch erfüllbar? Sind die Leistungsnormen der GVZ für die Feuerwehr (mit dem geplanten Tempo 30 Regime in den Städten (auch bei hohem Verkehrsaufkommen und engen Platzverhältnissen in zehn Minuten am Einsatzort sein, aber nur mit Tempo 30…) überhaupt noch erfüllbar?
- Inwiefern und wie hoch schätzt der Stadtrat das Behinderungspotenzial der Blaulichtorganisationen (Feuerwehr, Sanität, Polizei) durch «weitgehendes» Tempo 30 und bauliche Verkehrsmassnahmen generell ein?
- Gibt es Untersuchungen, welche Auswirkungen solcher Temporegimes sowie baulicher Verkehrsmassnahmen (Bushaltestellen in der Strasse, grössere Inseln, Hindernisse) auf die Einsatzqualität und -geschwindigkeit der Blaulichtorganisationen haben?
- Ist zu erwarten, dass Einsatzkräfte der Blaulichtorganisationen, welche sich bereits heute auf dringlichen Einsatzfahrten immer der Gefahr eines juristischen Verfahrens ausgesetzt sehen, zunehmend rechtliche Probleme betreffend Ihren Einsatzfahrten bekommen, da Sie unter einem Tempo 30-Regime natürlich viel schneller in strafbare Geschwindigkeitsbereiche bis hin zum Raserstraftatbestand gelangen?
- Besonders die Feuerwehr mit schweren und grossen Einsatzfahrzeugen, der Rettungsdienst in lebensbedrohlichen Situationen aber unter Umständen auch die Polizei dürften durch «weitgehend Tempo 30» in ihrer Einsatzqualität und -geschwindigkeit behindert werden. Fliessen die Interessen dieser Organisationen in den Entscheidungsprozess ein?
- Wie ist die Situation insbesondere bei den Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr zu beurteilen, die bei Ernstfallaufgeboten mit Tempo 30 von zu Hause oder ihrem Arbeitsplatz in das Feuerwehrlokal einrücken müssen was doch mehr als 200 Mal pro Jahr der Fall ist und durchaus auch bei schlimmen Einsätzen mit Bedrohung von Menschenleben oder Paralleleierignissen?
- Hat der Stadtrat im Rahmen der Planungen den Kanton bzw. die GVZ überhaupt konsultiert? Inwiefern hat sich die GVZ und weitere Einheiten der Verwaltung (Stadtpolizei, Kantonspolizei aber auch Rettungsdienst etc.) überhaupt in den Entscheidungsprozess der Exekutive einbringen können? Wenn ja, wie?
- Welches sind allfällige Auswirkungen neuer GVZ-Leistungsnormen für die Feuerwehren, insbesondere die Milizfeuerwehren?
- Gesetzt den Fall, das Tempo-30 Regime wird in den nächsten 10 bis 20 Jahren wie angekündigt umgesetzt und die Qualität der Einsätze insbesondere der Feuerwehr wird in Frage gestellt, muss eine Dezentralisierungen des Standortes vorgenommen werden? Ist die Berufsfeuerwehr personell aufzustocken? Braucht es eine dezentral organisierte Freiwillige Feuerwehr? Was wären die baulichen, finanziellen und organisatorischen Folgen? Wie ist diese Sachlage in Bezug auf die Polizei und den Rettungsdienst zu beurteilen?